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Lichtdesign Zwischen Genialität und Wahnsinn: Wie Neuschwanstein nachts zum Strahlen gebracht wird

Deutschlands Top-Sehenswürdigkeit ist ein einziges Durcheinander, stilistisch gesehen. Deshalb illuminieren Neuschwanstein nun gleich 13 unterschiedliche Lichtkonzepte
Deutschlands Top-Sehenswürdigkeit ist ein einziges Durcheinander, stilistisch gesehen. Deshalb illuminieren Neuschwanstein nun gleich 13 unterschiedliche Lichtkonzepte
© BEGA
Das legendäre Neuschwanstein perfekt auszuleuchten ist eine Aufgabe, die viele scheitern ließ. Der Ingenieur Walter Bamberger erzählt, wo er die rettende Idee hatte – und was das Märchenschloss seither mit drei Bügeleisen zu tun hat

GEO: Hatten Sie wegen Neuschwanstein eigentlich schlaflose Nächte?

Walter Bamberger: Als der Auftrag kam, musste ich schon erst mal raus, spazieren gehen, Blumen anschauen, die vielen Lichtstimmungen am bayerischen Himmel. Das erdet mich. Das inspiriert mich. Mein Ingenieurbüro für Elektrotechnik und Lichtdesign habe ich zwar schon seit 50 Jahren und in dieser Zeit viele große Kirchen, Museen, Stadtplätze und so weiter ausgeleuchtet. Aber das berühmteste Schloss Bayerns? Das war schon was! Ich habe zwei Biografien über König Ludwig II. gelesen, mich mit der Baugeschichte auseinandergesetzt. Aber dann haben wir den ersten Lichtentwurf, den wir am Computer simulierten, trotzdem erst mal in die Tonne getreten.

Warum?

Das war saubere Arbeit, aber der König? Der war es nicht. Das Licht war viel zu normal und wurde Ludwig überhaupt nicht gerecht. Es hat seine Gratwanderung aus Genialität und Wahnsinn nicht widergespiegelt, das Grenzwertige, das Tollkühne, das Menschenscheue. Gebäude, die tagsüber nichts zu sagen haben, kann man nachts auch mit Licht nicht zum Reden bringen. Aber Neuschwanstein! Da musste doch mehr gehen!

Was hat das Schloss denn zu erzählen?

Eine ganze Menge! Aber es ist kompliziert. König Ludwig war viel in Schloss Hohenschwangau bei seinen Eltern und wollte dort, wo die ehemalige Burg Hohenschwangau war, ein echtes Schloss bauen, ohne Wehranlagen, Zugbrücken, Burggraben. Es sollte sich nicht verteidigen müssen, einfach nur als gebaute Fantasie eines Monarchen, der der Welt entrinnen will, in der schönen Allgäuer Berglandschaft thronen. Weithin sichtbar auf einem Felsvorsprung. Zudem hat er vieles, was ihn interessierte, im Bau integriert. Der Palas mit seinem großen Turm wirkt in Teilen fast maurisch, der Turm erinnert an ein Minarett, der andere Turm mit seinen Zinnen mutet mittelalterlich an. Das Schloss ist ja ein Gesamtkunstwerk, besteht eigentlich aber aus sehr vielen architektonischen Einzelteilen. So ein Schloss auszuleuchten, das von so vielen Menschen geliebt, verehrt, besucht wird, ist eine Ehre – und eine besondere Herausforderung. Andere sind schon daran gescheitert.

Walter Bamberger steht ungern im Rampenlicht, dabei ist der Ingenieur ein gefragter Meister des Lichtdesigns. Sein Ingenieurbüro in Pfünz in Oberbayern gründete er 1971, leuchtete die Dresdner Frauenkirche aus, das Ozeaneum in Stralsund, zahlreiche Stadtplätze, den Kölner Dom oder das Ulmer Münster
Walter Bamberger steht ungern im Rampenlicht, dabei ist der Ingenieur ein gefragter Meister des Lichtdesigns. Sein Ingenieurbüro in Pfünz in Oberbayern gründete er 1971, leuchtete die Dresdner Frauenkirche aus, das Ozeaneum in Stralsund, zahlreiche Stadtplätze, den Kölner Dom oder das Ulmer Münster
© Privat

Und wie kam Ihnen die entscheidende Idee?

Ich spiele Orgel in der Kirche, und dabei hat es bei mir gezündet. Auf ein umgedrehtes Notenblatt habe ich dann schnell meine neue Idee skizziert.

Nämlich?

Das Gebäude in seine unterschiedlichen Stilelemente zu zerlegen und jedes für sich einzeln passgenau zu inszenieren. Wir sprechen also nicht von einem Lichtkonzept, sondern von 13, wir haben das Gebäude in viele kleine Elemente zerlegt. Zuerst haben wir an den Schatten gearbeitet, dadurch die Zinnen, Vorsprünge, Kanten betont. Die Architektur wirkt total überhöht. Es sollte aussehen, als ob ein Zuckerbäcker weiter daran gebaut hätte. Trotzdem wollten wir, dass es noch Bodenhaftung hat, nicht einfach im Licht schwebt. Deshalb bekommen die Baumkronen nahe dem Schloss auch etwas Licht ab. Alles ist sehr präzise konstruiert, es gibt so gut wie kein Streulicht.

Das klingt, als ob Sie mit Licht bauen würden?

Ein bisschen ist dem auch so. Wenn uns das Licht gelingt, ist auch der Architekt zufrieden. Würde Ludwig noch leben, hätte er es genauso von uns verlangt, da bin ich sicher. Und vielleicht würde es ihm sogar gefallen, wie sein Schloss jetzt nachts aussieht.

Messerscharf sind die Schatten auf dem weißen Kalkstein herausgearbeitet, wie diese Nahaufnahme zeigt. Der Effekt wird vor allem aus der Ferne deutlich: Neuschwanstein leuchtet weit in die Nacht hinein
Messerscharf sind die Schatten auf dem weißen Kalkstein herausgearbeitet, wie diese Nahaufnahme zeigt. Der Effekt wird vor allem aus der Ferne deutlich: Neuschwanstein leuchtet weit in die Nacht hinein
© BEGA

Auch eine technische Herausforderung ...

Schon. Vor allem, weil das Schloss vom Tal aus und aus vier Kilometer Entfernung noch plastisch wirken soll. Wir haben nach zwei Jahren Planen und Probieren schließlich 47 Strahler an neun unterschiedlich hohen Masten montiert, manche stehen in mehr als 120 Meter Entfernung. Dank der energiesparenden LED-Lampen verbrauchen sie jetzt nur noch ein Fünftel der ursprünglichen Energie, ungefähr so viel wie drei Bügeleisen. Die Gemeinde Schwangau, die traditionell die Lichtanlage von Schloss Neuschwanstein unterhalten muss, hat sich sehr gefreut. Mehr Licht für weniger Geld.

Und am Geburtstag des Königs ...

Am 25. August? Da leuchtet es noch heller und festlicher. Und an seinem Todestag, am 13. Juni, trägt das runtergedimmte Schloss Trauer. Dann ist nur der große Turm heller, wie der Geist vom Märchenkönig, der in unserer Welt noch etwas weiterwirkt. Ich wollte zur normalen Alltagslichtsituation noch etwas Geheimnisvolles schaffen.

Aufwendige Computersimulation: Die unterschiedlichen Striche markieren Abstrahlwinkel und Wattleistungen der 47 Strahler. Den ersten Entwurf verwarf der Lichtdesigner als zu normal: "Das ist doch nicht der König"
Aufwendige Computersimulation: Die unterschiedlichen Striche markieren Abstrahlwinkel und Wattleistungen der 47 Strahler. Den ersten Entwurf verwarf der Lichtdesigner als zu normal: "Das ist doch nicht der König"
© BEGA

Und jede Nacht zaubern Sie das Schloss dann einfach weg?

Genau. Das Bayerische Immissionsschutzgesetz schreibt vor, dass um 23 Uhr die Strahler aller Kirchen, öffentlicher Gebäude und Schlösser ausgehen müssen, auch, um die nachtaktiven Tiere, vor allem die Insekten, zu schützen. Ich wollte aber keinen Blitz-Blackout, Vorhang runter, rumms, wie im Theater. Lieber eine Schlussinszenierung. Und so werden nun fünf Minuten lang die Leuchten nach und nach runtergedimmt und einzeln gelöscht. Erst verschwindet langsam Stück für Stück der Mittelteil von Neuschwanstein in der Nacht, dann wirken die beiden Türme mit dem Palas wie zwei unterschiedliche einzelne Schlösser. Dann wird auch der Palas dunkel, und nur noch die Türme leuchten. Dann baut sich der Mittelalterturm ab, zum Schluss steht nur noch der große maurische Turm. Dann wird es schwarz. Das Tal kann sich peu à peu von seiner geliebten Hauptattraktion verabschieden. Gute Nacht, Schloss. Schlaf gut.

Der Schlüssel zum Schloss


Nachts

Man sieht Neuschwanstein in Hohenschwangau von überall, am besten an der Straße im Tal Richtung Tegelberg, hier gibt es auch Parkbuchten. Romantischer ist ein Stopp an der Kirche St. Coloman. Der Blick von der momentan ohnehin gesperrten Marienbrücke ist nachts niemandem zu empfehlen. Man wäre dort zu nah dran, um Walter Bambergers Werk auf sich wirken zu lassen.


Tagsüber

Neuschwanstein hat der menschenscheue Märchenkönig erbauen lassen, um sich der Öffentlichkeit zu entziehen. Sein Refugium wurde zum Publikumsmagneten. In normalen Jahren kommen bis zu 1,4 Millionen Besucherinnen und Besucher. Es empfiehlt sich, das Ticket online vorzubuchen (hohenschwangau.de, 17,50 €). Bei der Führung gelangt man auch in einen ungewöhnlichen Raum: die künstliche Grotte, in der früher sogar ein Wasserfall rauschte. Noch heute findet man den dazugehörigen Wasserhahn an der Wand.


Extra-Tipp

Wem Neuschwanstein zu voll ist, der sollte das deutlich unbekanntere, aber dafür umso authentischere Schloss Kronburg im Unterallgäu besuchen. Das gut erhaltene Renaissanceschloss ist seit über 400 Jahren im Besitz derer von Vequel-Westernach. In den Sommermonaten führt der Baron persönlich. Voranmeldung notwendig, schloss-kronburg.de


Erschienen in GEO Saison Nr. 2 (2022)

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