GEO: Hatten Sie wegen Neuschwanstein eigentlich schlaflose Nächte?
Walter Bamberger: Als der Auftrag kam, musste ich schon erst mal raus, spazieren gehen, Blumen anschauen, die vielen Lichtstimmungen am bayerischen Himmel. Das erdet mich. Das inspiriert mich. Mein Ingenieurbüro für Elektrotechnik und Lichtdesign habe ich zwar schon seit 50 Jahren und in dieser Zeit viele große Kirchen, Museen, Stadtplätze und so weiter ausgeleuchtet. Aber das berühmteste Schloss Bayerns? Das war schon was! Ich habe zwei Biografien über König Ludwig II. gelesen, mich mit der Baugeschichte auseinandergesetzt. Aber dann haben wir den ersten Lichtentwurf, den wir am Computer simulierten, trotzdem erst mal in die Tonne getreten.
Warum?
Das war saubere Arbeit, aber der König? Der war es nicht. Das Licht war viel zu normal und wurde Ludwig überhaupt nicht gerecht. Es hat seine Gratwanderung aus Genialität und Wahnsinn nicht widergespiegelt, das Grenzwertige, das Tollkühne, das Menschenscheue. Gebäude, die tagsüber nichts zu sagen haben, kann man nachts auch mit Licht nicht zum Reden bringen. Aber Neuschwanstein! Da musste doch mehr gehen!
Was hat das Schloss denn zu erzählen?
Eine ganze Menge! Aber es ist kompliziert. König Ludwig war viel in Schloss Hohenschwangau bei seinen Eltern und wollte dort, wo die ehemalige Burg Hohenschwangau war, ein echtes Schloss bauen, ohne Wehranlagen, Zugbrücken, Burggraben. Es sollte sich nicht verteidigen müssen, einfach nur als gebaute Fantasie eines Monarchen, der der Welt entrinnen will, in der schönen Allgäuer Berglandschaft thronen. Weithin sichtbar auf einem Felsvorsprung. Zudem hat er vieles, was ihn interessierte, im Bau integriert. Der Palas mit seinem großen Turm wirkt in Teilen fast maurisch, der Turm erinnert an ein Minarett, der andere Turm mit seinen Zinnen mutet mittelalterlich an. Das Schloss ist ja ein Gesamtkunstwerk, besteht eigentlich aber aus sehr vielen architektonischen Einzelteilen. So ein Schloss auszuleuchten, das von so vielen Menschen geliebt, verehrt, besucht wird, ist eine Ehre – und eine besondere Herausforderung. Andere sind schon daran gescheitert.
Und wie kam Ihnen die entscheidende Idee?
Ich spiele Orgel in der Kirche, und dabei hat es bei mir gezündet. Auf ein umgedrehtes Notenblatt habe ich dann schnell meine neue Idee skizziert.
Nämlich?
Das Gebäude in seine unterschiedlichen Stilelemente zu zerlegen und jedes für sich einzeln passgenau zu inszenieren. Wir sprechen also nicht von einem Lichtkonzept, sondern von 13, wir haben das Gebäude in viele kleine Elemente zerlegt. Zuerst haben wir an den Schatten gearbeitet, dadurch die Zinnen, Vorsprünge, Kanten betont. Die Architektur wirkt total überhöht. Es sollte aussehen, als ob ein Zuckerbäcker weiter daran gebaut hätte. Trotzdem wollten wir, dass es noch Bodenhaftung hat, nicht einfach im Licht schwebt. Deshalb bekommen die Baumkronen nahe dem Schloss auch etwas Licht ab. Alles ist sehr präzise konstruiert, es gibt so gut wie kein Streulicht.
Das klingt, als ob Sie mit Licht bauen würden?
Ein bisschen ist dem auch so. Wenn uns das Licht gelingt, ist auch der Architekt zufrieden. Würde Ludwig noch leben, hätte er es genauso von uns verlangt, da bin ich sicher. Und vielleicht würde es ihm sogar gefallen, wie sein Schloss jetzt nachts aussieht.
Auch eine technische Herausforderung ...
Schon. Vor allem, weil das Schloss vom Tal aus und aus vier Kilometer Entfernung noch plastisch wirken soll. Wir haben nach zwei Jahren Planen und Probieren schließlich 47 Strahler an neun unterschiedlich hohen Masten montiert, manche stehen in mehr als 120 Meter Entfernung. Dank der energiesparenden LED-Lampen verbrauchen sie jetzt nur noch ein Fünftel der ursprünglichen Energie, ungefähr so viel wie drei Bügeleisen. Die Gemeinde Schwangau, die traditionell die Lichtanlage von Schloss Neuschwanstein unterhalten muss, hat sich sehr gefreut. Mehr Licht für weniger Geld.
Und am Geburtstag des Königs ...
Am 25. August? Da leuchtet es noch heller und festlicher. Und an seinem Todestag, am 13. Juni, trägt das runtergedimmte Schloss Trauer. Dann ist nur der große Turm heller, wie der Geist vom Märchenkönig, der in unserer Welt noch etwas weiterwirkt. Ich wollte zur normalen Alltagslichtsituation noch etwas Geheimnisvolles schaffen.
Und jede Nacht zaubern Sie das Schloss dann einfach weg?
Genau. Das Bayerische Immissionsschutzgesetz schreibt vor, dass um 23 Uhr die Strahler aller Kirchen, öffentlicher Gebäude und Schlösser ausgehen müssen, auch, um die nachtaktiven Tiere, vor allem die Insekten, zu schützen. Ich wollte aber keinen Blitz-Blackout, Vorhang runter, rumms, wie im Theater. Lieber eine Schlussinszenierung. Und so werden nun fünf Minuten lang die Leuchten nach und nach runtergedimmt und einzeln gelöscht. Erst verschwindet langsam Stück für Stück der Mittelteil von Neuschwanstein in der Nacht, dann wirken die beiden Türme mit dem Palas wie zwei unterschiedliche einzelne Schlösser. Dann wird auch der Palas dunkel, und nur noch die Türme leuchten. Dann baut sich der Mittelalterturm ab, zum Schluss steht nur noch der große maurische Turm. Dann wird es schwarz. Das Tal kann sich peu à peu von seiner geliebten Hauptattraktion verabschieden. Gute Nacht, Schloss. Schlaf gut.